Giraffen reisen nach Hamburg

In Mombasa wohnte ich im Hause des Scheichs Ali bin Salim, des Liwali der Küste, eines gastfreundlichen, höflichen alten, arabischen Edelmannes.

Mombasa sieht nicht anders aus, als wie ein Kind das Paradies zeichnen würde. Der tiefe Meeresarm, der die Insel umspült, bietet einen idealen Hafen, das Land besteht aus weißlichem Korallenfels, der von breiten, grünen Mangobäumen und phantastischen, verwegenen grauen Affenbrotbäumen bestanden ist. Das Meer bei Mombasa ist blau wie eine Kornblume, und draußen vor der Hafeneinfahrt zeichnen die langen Brecher des Indischen Ozeans einen feinen, welligen, weißen Strich; sie grollen leise auch beim ruhigsten Wetter …

Die flammende, rote Akazie blüht in den Gärten von Mombasa; unwahrscheinlich ist die Leuchtkraft der Farbe und die Zartheit des Laubes. Die Sonne dörrt und sengt Mombasa, die Luft ist salzgesättigt, täglich trägt der Wind vom Osten frische Vorräte salziger Lake herzu, die Erde selbst ist salzig und bringt nur wenig Gras hervor, der Boden ist kahl wie ein Tanzplatz. Aber die uralten Mangobäume haben ein dichtes, dunkelgrünes Laub und spenden den Segen des Schattens, sie umgeben ein Becken dunkler Kühle mit ihrem Gezweig …

Im Hafen von Mombasa lag ein schäbiger deutscher Frachtdampfer zur Heimfahrt bereit. Ich kam an ihm vorüber, wenn ich auf Ali bin Salims Boot mit seinen Suaheliruderern zur Insel und zurück übersetzte. Auf Deck stand ein hoher hölzerner Verschlag, und über den Rand des Verschlags lugten die Köpfe zweier Giraffen. Sie kamen, wie mir Farah, der an Bord gewesen war, erzählte, von Portugiesisch-Ostafrika und gingen nach Hamburg an eine reisende Tierschau.

Die Giraffen wandten ihre zarten Köpfe hierhin und dorthin, als seien sie höchlich überrascht, wozu sie auch allen Grund hatten. Sie hatten das Meer noch nie gesehen. Der enge Verschlag bot ihnen nur Raum genug zum Stehen. Die Welt war plötzlich geschrumpft, hatte sich ringsum verändert und verengt.

Sie kannten und ahnten die Demütigung noch nicht, der sie entgegenfuhren. Denn sie waren stolze und arglose Geschöpfe, edle Wanderer der großen Steppen, sie wußten nichts von Gefangenschaft, Kälte, Gestank, Rauch und Räude, nichts von der Langeweile einer Welt, in der sich nichts ereignet. Menschenscharen in dunklen, übelriechenden Kleidern werden von den windigen, eisigen Straßen hereinkommen und die Giraffen anstarren und die Überlegenheit des Menschen über die stumme Kreatur fühlen. Sie werden lachend mit den Fingern auf die langen, dünnen Hälse zeigen, wenn sich die anmutigen, geduldigen, rauchgrauäugigen Köpfe über das Gitter der Menagerie strecken, in der sie so unmäßig hoch wirken. Die Kinder werden sich bei ihrem Anblick fürchten und schreien, oder sie werden sie liebgewinnen und ihnen Brot geben. Dann werden auch die Väter und Mütter finden, daß die Giraffen liebe Tiere sind, und werden meinen, Wunder wie gut sie zu ihnen seien. Werden die Giraffen in den vielen Jahren, die vor ihnen liegen, wohl je von ihrer verlorenen Heimat träumen? Wo mag sie sein, wohin sind sie verschwunden, die Weiden und die Dornbäume, die Flüsse und die Wassertümpel und die blauen Berge? Die hohe sanfte Luft über den Steppen ist fort und verflogen. Wo sind die anderen Giraffen hingekommen, die bei ihnen waren, als sie aufbrachen und dahingaloppierten über die wellige Ebene? Fort sind sie alle, geflohen und kommen wohl nie zurück.

Und in der Nacht – wo ist wohl der Mond? Die Giraffen kommen zu sich und erwachen in der Karawane der Wanderschau, in ihrem engen Stall, in dem es nach modrigem Bier und Stroh riecht.

Lebt wohl, lebt wohl, ich wünsche euch, ihr möchtet auf der Reise sterben, alle beide, damit keiner von den zwei zierlichen, edlen Köpfen, die sich jetzt staunend über den Rand des Verschlags in den Himmel von Mombasa recken, dazu verurteilt werde, einsam hin und her und hin und her zu schauen im fremden Hamburg, wo kein Mensch von Afrika weiß.

Und wir Menschen – wir müssen schon jemand finden, der sich ganz arg gegen uns versündigt hat, ehe wir die Giraffen reinen Herzens bitten können, uns unsere Sünde zu vergeben.

Tania Blixen