Vom Tod und vom Leben

von Clarissa v. Reinhardt

Wenn es um den Tod unserer Angehörigen geht, sind die meisten Menschen unseres Kulturkreises mit Verdrängungsmechanismen beschäftigt – ganz gleich, ob es sich um einen Mensch oder ein Tier handelt. Manchmal scheint es, dass über den Tod eines nahe stehenden Menschen sogar noch eher gesprochen werden kann als über den eines Haustieres, so stark berührt der Abschiedsschmerz. Besonders wurde mir das nach der Herausgabe des Buches „Abschied für länger“, das ich gemeinsam mit Anders Hallgren geschrieben hatte und das liebevoll von einer Freundin illustriert worden war, bewusst. Entstanden war es, weil uns immer wieder Menschen sagten: „Hätte ich das nur vorher gewusst…“ – zum Bespiel, wie wichtig eine gut gesetzte Euthanasie ist, die darüber entscheidet, ob der Hund wirklich sanft hinüber gleitet oder seinen eigenen Herzstillstand bei vollem Bewusstsein erlebt. Oder wenn es darum geht, den Körper (laut Tibetischen Totenbuch) nach seinem Tod noch 12 – 36 Stunden aufgebahrt zu lassen, damit sich die Seele leicht von ihm lösen kann, statt ihn eilig zu verbuddeln oder in der Tiefkühltruhe der Tierarztpraxis zurück zu lassen. Diese und viele weitere Punkte wie Trauerphasen, Trauerarbeit usw. schrieben wir nieder, machten ein wunderschönes Buch daraus – und die Erfahrung, dass es sich nur mäßig verkaufte. Manche Menschen schrieben uns dankbare und berührende Briefe, wie gut ihnen das Buch gefallen würde und wie sehr es ihnen in den schweren Stunden des Abschiednehmens geholfen habe. Aber noch öfter nahmen Menschen es am Büchertisch in die Hand oder fragten uns in persönlichen Gesprächen, worüber es handelte, um es entsetzt weg zu legen, sobald sie erfuhren, dass es darin um den Tod unserer Hunde geht. „Oh, nein, daran darf ich nicht denken.“ oder „Darüber kann ich nichts lesen, sonst heule ich nur noch.“ – sei es in Erinnerung an einen bereits verstorbenen Hund oder in Erwartung des Ablebens des noch lebenden.

Ich habe diese Reaktion nie wirklich verstanden, was sicher mit meiner Einstellung und meinem Glauben zusammen hängt. Meine Einstellung sagt, dass ich Fehler bei der Einschläferung eines mir anvertrauten Tieres nur vermeiden kann, wenn ich darüber informiert bin, wie diese ablaufen sollte und dass es deshalb meine Pflicht ist, mich mit dem Thema auseinander zu setzen. Gleiches gilt für die Frage, ob überhaupt eingeschläfert werden sollte, oder ob der Körper von allein sterben darf und wie ich meinen geliebten Hund dabei bestmöglich unterstützen kann.

Mein Glauben geht davon aus, dass mit dem Tod das Dasein eines Menschen oder Tieres nicht endet, sondern dass dieses Dasein lediglich in eine andere Form des Bewusstseins über geht. In unzähligen Tierkommunikationen mit meinen eigenen oder fremden Tieren erzählten mir Hunde, Katzen, Pferde oder andere Tiere, dass sie ihren Körper jetzt gerne verlassen würden, weil es mühsam und schmerzhaft geworden war, mit ihm zu leben. Nach ihrem Tod schickten sie mir Bilder von Leichtigkeit, Freiheit und Freude – also wirklich nichts, worüber man traurig sein könnte.

Andere Tiere sagten ganz klar, dass die Zeit zu gehen für sie noch nicht gekommen sei, obgleich sie vielleicht sehr krank waren oder sich in einer verzweifelten Lebenslage befanden – und sie behielten recht, denn tatsächlich war es dann immer so, dass sich noch wichtige Dinge ereigneten, bevor es Zeit für sie war zu gehen. Oftmals wendete sich ihre Situation zum Guten, manchmal mussten einfach noch Begegnungen stattfinden oder Ereignisse eintreffen, ehe sie sich in Ruhe verabschieden konnten. Die Tiere wissen immer sehr genau, wann es an der Zeit ist zu gehen und nehmen das recht gelassen hin.

Diese Ruhe und Gelassenheit habe ich auch oft beobachtet, wenn sich die anderen Tiere der Familie von dem verabschieden, das gerade gestorben ist. Aber das ist nicht bei allen so, denn manche sind auch voller Trauer, halten Totenwache, fressen lange nicht oder liegen nicht auf dem Lieblingsplatz des verstorbenen Gefährten, obwohl sie dies vorher taten. Manche brauchen Trost, manche Ablenkung, manche lange Zeit, ehe sie den Verlust verwinden – andere nicht. Die Gefühle sind offensichtlich ebenso unterschiedlich wie beim Menschen und hängen unter anderem auch davon ab, wie das Tier zu dem verstorbenen stand. Lebten sie eher in einer Zweck-WG oder waren sie innig miteinander verbunden? Bei den ganz innig miteinander verbundenen passiert oft das, was auch bei Menschen geschieht, die lange Jahre glücklich miteinander lebten – geht der eine, folgt der andere bald nach.

Als überzeugte Mehrhunde- und Mehrkatzenhalterin habe ich natürlich häufiger mit dem Tod eines Tieres zu tun, als jemand, der nur einen Hund oder eine Katze hat. Mein Mann und ich lebten bis vor kurzem mit acht Hunden und vier Katzen zusammen. Im vergangenen Winter verließen uns innerhalb weniger Wochen zwei Katzen und ein Hund, es war eine intensive Zeit des Abschiednehmens, manchmal traurig, aber auch voller inniger Momente des Wissens, dass wir miteinander verbunden bleiben, auch wenn das irdische Dasein einiger von uns jetzt endet. Die Gemeinschaft und der Zusammenhalt der Familie war ein Trost. Als Preciosa starb, eine Katze, die mich viele Jahre begleitete und zu der ich eine sehr innige Beziehung hatte, kam ihre Tochter Antonia und setzte sich schnurrend neben mich. Sie war hier, sie war für mich da. Gemeinsam beerdigten wir ihre Mutter im Garten. Viele dieser besonderen Momente durften wir schon erleben – man muss sich allerdings für sie öffnen, um sie wahrnehmen zu können.

Manche Menschen sagen, dass sie nach dem Tod ihres Tieres nie wieder eines haben wollen, weil der Verlust zu weh täte. Manche haben das Gefühl, den verstorbenen Hund zu „verraten“, wenn sie ihre Zuwendung einem anderen schenken. Ihnen gebe ich das folgende Gedicht:

Testament eines Hundes

Wenn Menschen sterben, machen sie ein Testament,
um ihr Heim und alles, was sie haben, denen zu hinterlassen,
die sie lieben.

Ich würde auch solch ein Testament machen, wenn ich schreiben könnte.
Einem armen, sehnsuchtsvollen, einsamen Streuner würde ich
mein glückliches Zuhause hinterlassen, meinen Napf, mein kuscheliges Bett,
mein weiches Kissen, mein Spielzeug und den so geliebten Schoß,
die sanft streichelnden Hand, die liebevolle Stimme,
den Platz, den ich in jemandes Herzen hatte,
die Liebe, die mir zu guter Letzt zu einem friedlichen und schmerzfreien Ende
helfen wird, gehalten im tröstenden Arm.

Und wenn ich einmal sterbe, dann sag bitte nicht:
„Nie wieder werde ich einen Hund haben, der Verlust tut viel zu weh!“
Such Dir einen einsamen, ungeliebten Hund aus und gib ihm meinen Platz.
Das ist mein Erbe.
Die Liebe, die ich zurück lasse, ist alles, was ich geben kann.

Dieses wunderschöne Gedicht hat mich daran erinnert, selbst ein Testament zu machen. Der Tod gehört zum Leben und jedem von uns ist klar, dass ein Hund in der Regel vor seinem Menschen stirbt – was in gewisser Weise ja auch gut ist, denn jeder verantwortungsvolle Hundehalter stünde sonst vor der Frage, was aus seinem Tier werden soll, wenn er vor ihm stirbt. Aber obgleich ich noch nicht sooo alt bin, habe ich für diesen Fall, der im Grunde täglich eintreten kann, vorgesorgt und ein Testament geschrieben, das unter anderem regelt, wer sich um meine menschlichen wie tierlichen Gefährten kümmert, sollte mir etwas zustoßen. Ich brauchte mehrere Tage, um alles aufzuschreiben, was mir wichtig erschien und bekam in dieser Zeit mehrfach Anrufe von Freunden, die fragten, was ich denn so machte, ob wir uns treffen wollten usw. Auf meine Antwort, dass ich gerade an meinem Testament schreiben würde, erhielt ich Antworten wie „Oh mein Gott!“, „Wieso, bist Du unheilbar krank?“ oder „Entschuldige, das ist ja….“ Ja, was eigentlich? Was ist es? Das kommt doch nur auf die Betrachtung an. Ich fand es gar nicht furchtbar. Ich hatte ja nicht vor, zu sterben und bin erfreulicher Weise auch noch gesund und fit. Für mich war es nichts weiter, als das Aufschreiben meiner Wünsche im Falle meines Todes – und es beruhigt mich bis heute zutiefst, dass alles geregelt ist, sollte er eintreten. Für alle meinen Lieben wird gesorgt sein. Also auch so betrachtet ist es sinnvoll, sich dem Thema zu stellen, ohne gleich trübsinnig zu werden. Ich habe beim Schreiben immer schmunzelnd an eine Liedzeile von Reinhard Mey gedacht, in der es heißt „Dieses ist mein letzter Wille, doch ich hoffe sehr dabei, dass der Wille, den ich hier schreibe, doch noch nicht mein letzter sei…“

In anderen Kulturkreisen geht man viel selbstverständlicher und weniger problembelastet an das Thema des Sterbens, des Todes heran. Eine indianische Weisheit sagt:

Steh nicht weinend an meinem Grab.
Ich bin nicht dort unten. Ich schlafe nicht.

Ich bin tausend Winde, die wehen.
Ich bin das Glitzern der Sonne im Schnee.
Ich bin das Sonnenlicht auf reifem Korn.
Ich bin der sanfte Regen im Herbst.
Wenn Du erwachst in der Morgenfrühe,
bin ich das schnelle Aufsteigen der Vögel im kreisenden Flug.
Ich bin das sanfte Sternenlicht in der Nacht.

Stehe nicht weinend an meinem Grab.
Ich bin nicht dort unten. Ich schlafe nicht.

Für mich bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Tod und der Endlichkeit eines jeden von uns, intensiver zu leben. So viele Momente wie möglich auszukosten, im Hier und Jetzt. Nicht davon auszugehen, dass die Anwesenheit des anderen selbstverständlich ist, sondern sie als ein Geschenk des Lebens zu sehen. Und wenn es an der Zeit ist zu gehen, bleiben wir trotzdem miteinander verbunden – wenn unser Glaube das zulässt.

Weiterführendes: