D I S T A N Z E N

Grundsätzlich gibt es vier Distanzen, die von einem Hund je nach Rasse bzw. Mischung, Erziehung und Erfahrung mehr oder weniger stark eingefordert werden:

Die Territoriumsdistanz

Hierzu zählen Haus/ Wohnung, der Garten, häufig frequentierte Wege, die der Hund als sein Revier empfindet und das Auto. Das es Hunde gibt, die all das bereit sind zu verteidigen, ist bekannt, häufig gibt es beim Auto aber Missverständnisse darüber, ob der Hund wirklich das Auto verteidigt – oder sich selbst im Auto, was bedeutet, dass er sich in einem sehr begrenztem Raum befindet, in dem er kaum ausweichen kann. Nähert sich jetzt ein als Bedrohung empfundener Artgenosse oder Mensch, kann es zu distanzfordernden Verhaltensweisen kommen, die fälschlicher Weise als Verteidigung des Autos interpretiert werden.

Die Sozialverbandsdistanz (früher: Rudeldistanz)

Der Hund möchte einen gewissen Abstand zu Menschen und/ oder Tieren gewahrt wissen, die er zur Familie oder zum Freundeskreis zählt. Oftmals werden Kinder und alte bzw. behinderte Familienmitglieder besonders gut beschützt. Ebenso Halter, die einen schwächlichen, also beschützenswerten Eindruck auf den Hund machen. Der früher verwendete Begriff Rudeldistanz ist nicht wirklich treffend, da Hunde in der Regel nicht mehr in Rudeln leben und mit uns Menschen zwar eine enge soziale Beziehung eingehen, aber eben kein Rudel bilden (Rudel: Sozialverband miteinander blutdsverwandter Tiere).

Die Beutedistanz

Hierzu zählen jede Art von Futter, incl. Kauartikel, Leckerchen usw., oder bei einer stark ausgeprägten Beutedistanz sogar die Wasserschüssel(n). Ebenso Spielzeug, insbesondere, wenn der Hund durch viele Beute(wurf)spiele sehr auf dieses Spielzeug fixiert wurde und es somit für ihn eine große Wertigkeit gewonnen hat. Tückisch sind deshalb Trainingssysteme, die mit Hilfe von sog. MO`s (Motivationsobjekten) den Hund so stark auf diese vermeintliche Beute fixieren, dass er bereit ist, vieles/ alles dafür zu tun – und somit eben auch, sie vehement zu verteidigen. Es kann aber auch Distanz zu Gegenständen gefordert werden, die dem Hund gerade jetzt wichtig erscheinen. Hierzu zählt zum Beispiel Frauchen`s Socke, die der Hund sich während ihrer Abwesenheit nicht nehmen lässt, weil sie ihn in dieser Zeit durch den intensiven Geruch tröstet. Auch das antrainierte Bewachen der Beute/ des Rucksacks des Jagdgebrauchhundes, während sein Halter zum Beispiel das Auto holt, zählt dazu oder das Bewachen von Gegenständen im Rahmen anderer Trainingsformen.

Die Individualdistanz

Sie beschreibt die Distanz, die ein Hund zu einem Gegenüber gewahrt wissen möchte und ist die variabelste von allen. Sie kann sich innerhalb kurzer Zeit ändern und ist abhängig von vielen Faktoren, wie zum Beispiel:

Ist das Gegenüber vertraut oder fremd? Wie verhält es sich?

Bestehen Sympathien oder Antipathien?

Welche Erfahrungen wurden vom Hund mit diesem Gegenüber oder im Allgemeinen mit dieser Art von Gegenüber gemacht?

Hat der Hund Schmerzen oder ist er gesund?

Ist er gestresst oder entspannt? Übermüdet oder ausgeruht? Voller Angst oder nicht?

Wie verhält sich der Halter oder eine andere Bezugsperson oder ein Artgenosse beim Näherkommen dieses Gegenübers?

Und viele weitere…

Es ist ähnlich wie bei uns Menschen: Sind wir gestresst, werden wir lieber in Ruhe gelassen statt herzlich umarmt. Haben wir Schmerzen, wollen wir nicht geknuddelt und gedrückt werden – von Fremden schon gar nicht usw.

Die Ausprägung der Distanzforderung

Wie stark ein Hund welche der Distanzen einfordert, ist von mehreren Faktoren abhängig. Zum einen durch die Genetik. Es gibt Rassen (und deren Mischungen), bei denen eine hohe Territorialität (Hovawart, Russischer Terrier, einige der Herdenschutzhunde und weitere) oder Beuteverteidigung (Terrier, einige der Jagdhunderassen und weitere) züchterisch hervorgehoben wurden. Dies kann dann zu Problemen führen, wenn die Halter sich dessen entweder nicht bewusst sind und/ oder mit diesem Verhalten überfordert sind. Da wird dann der Ruf nach einem ganz lieben Hovawart laut, der jeden reinlassen soll – außer den Einbrecher natürlich! Auch der Herdenschutzhund, seit Jahrtausenden darauf selektiert, das Territorium der Herde zu schützen, soll im handtuchgroßen Garten der Reihenhaussiedlung keinesfalls Fremde davon abhalten, hereinzukommen – zumindest nicht, wenn es sich um Freunde handelt. Nur – wie soll der Hund den Unterschied kennen, wenn ihm die Menschen fremd sind? Hier ist ein aufklärendes Gespräch mit dem Halter über realistische Erwartungen an seinen Hund und vernünftige Erziehung angebracht.

Es gibt Rassen, die mehrere oder sogar alle vier Distanzen einfordern, wie zum Beispiel der Russische Terrier. Sie werden schnell als „schwierig“ oder „schwer erziehbar“ abgestempelt, dabei ist es gar nicht so schwer, ihre Anlagen mit entsprechender Erziehung in einem Rahmen zu halten, der gut im Alltag zu handeln ist.

Eine große Rolle spielt hierbei auch das Verhalten des Halters – sowohl im Allgemeinen, als auch gegenüber dem Hund. Eine souveräne, ruhige und für den Hund durchschaubare Führung, die auf veraltete und für den Hund überhaupt nicht nachvollziehbare Dominanz.- und Rangordnungsregeln verzichtet, ist hierbei am vielversprechendsten.

Wie wird Distanz gefordert?

Meist fällt dem Halter bzw. einer sich annähernden Person die Distanzforderung erst auf, wenn sie wirklich nachhaltig vom Hund gefordert wird. Das Drohverhalten in Form von Knurren, Zähnefletschen, nach vorne springen, Abschnappen in Richtung des Näherkommenden wird als gefährlich empfunden. Zeigt der Hund dies gegenüber Artgenossen, gilt er oft fälschlicherweise als unverträglich, zeigt er es gegenüber Menschen, gilt er als aggressiv, unberechenbar, bissig. Obwohl er eigentlich nur mitgeteilt hat, dass er jetzt wirklich Distanz zum Gegenüber haben möchte. Und meist ist es so, dass vorherige Signale wie Beschwichtigung oder versuchtes Ausweichverhalten nicht erkannt wurden und der Hund so, aus seiner Sicht völlig logisch, deutlicher werden muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Im schlimmsten Fall hat der Hund im Laufe seines Lebens gelernt, dass er wirklich nur durch starkes Abwehrverhalten wie beißen die Distanzforderung durchsetzen kann und dann kann es wirklich gefährlich werden. Fundiertes Fachwissen, ein gutes Einfühlungsvermögen und ein (manchmal lang) angelegtes Training können helfen. Im besten Falle lässt man es aber so weit gar nicht kommen, sondern beachtet die folgenden Regeln:

  • Kenntnis über die Rasse, bzw. Rassemischung des Hundes
  • Frage der Passung zwischen diesen Anlagen und den Lebensumständen des Halters
  • gute Beobachtungsgabe bei gleichzeitigem Wissen über das Ausdrucksverhalten des Hundes
  • gutes Einfühlungsvermögen in die Erlebniswelt des Hundes
  • Begegnung bzw. Training mit De-eskalationsstrategien